Wieder Freude empfinden

Online-Interview mit Dennis Schmidt, Mitglied der Bogengruppe
des Schützenvereins Hude

Geführt von Manfred Rautenberg als Zuständigen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins vom 25. auf den 26. Dezember 2020.

Bogenschütze Dennis SchmidtManfred Rautenberg:
„Hallo Dennis! Du hast ja in den vergangenen Wochen ein sehr interessantes Projekt in Sachen Bogenschießen gehabt und das unter den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Was war das für ein Projekt, wie ist es entstanden?“

Dennis Schmidt:
„Ich bereite mich derzeit auf meinen pädagogischen Abschluss vor. Als ein Teil davon ist eine fachpädagogische Arbeit im Zuge eines Projektes durchzuführen. In diesem Zusammenhang bedeutet das, meine Schützlinge suchen sich selber ein Projekt aus, erarbeiten dies und bestimmen, was sie für ihre Entwicklung lernen möchten. Ein Angebot darf dabei nicht unterbreitet werden, mir obliegt eine Art Moderation, Fragestellungen und Beobachtung in der Vorbereitung.

Zwei Jugendliche kamen direkt auf mich zu mit dem Wunsch nach Bogenschießen. Das wollte ich gerne mit ihnen umsetzen. Die fachliche Eignung habe ich ja. Wir erarbeiteten dann ihre Vorstellungen und Lernwünsche, dazu später mehr. In der Zwischenzeit schlossen sich zwei weitere Jugendliche an und wollten ebenfalls teilnehmen. So entstand die feste Gruppe für das Projekt.“

Manfred Rautenberg:
„Kannst Du diese Gruppe beschreiben? Was sind das für Jugendliche?“

Dennis Schmidt:
„Ich arbeite in einem Jugendheim im Bremen, dem größten der Stadt. Dort wohnen die
Jugendlichen; insgesamt 40 Plätze stehen zur Verfügung. Die Teilnehmenden im Alter von 15 bis 18
Jahren waren aus verschiedenen Staaten aus drei Kontinenten. Das hat die Aufgabe bunt und abwechslungsreich gemacht. Sie konnten sich auch kulturell austauschen.“

Manfred Rautenberg:
„Die Anlagen des Schützenvereins waren ja aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen. Warum könntet Ihr trotzdem Euren Lehrgang machen?“

Bogenschiessen-mit-Jugendlichen-1Dennis Schmidt:
„Ja, die Sportstätten sind geschlossen. Ich habe Erkundigungen nach einer Lösung eingeholt, angefangen beim Innenministerium, über Gesundheitsamt, Ordnungsamt bis hin zum Landkreis. Letzterer hat sein OK geben können, weil wir als ein Haushalt gelten. Die Teilnehmenden wohnen zusammen und ich arbeite dort, das passt.

Unser Vereinspräsident hat dann auch alle Register gezogen. Es sind ja grundsätzlich alle Verantwortlichen pro Jugendarbeit. Dennoch bestand die Besorgnis einer möglichen Erregung derer, die eben das Schützenhaus derzeit nicht nutzen dürfen. Es gab dann dazu ein Memo an alle und Einsprüche kamen keine, zum Glück. Damit war der Weg eröffnet.

Mir war es wirklich wichtig, dieses Projekt durchzuführen, meinem Abgabezeitpunkt geschuldet aber hauptsächlich für die Jugendlichen, die eine teils erschütternde Vergangenheit hinter sich haben.“

Manfred Rautenberg:
„Magst Du den Ausdruck erschütternde Vergangenheit konkretisieren?“

Dennis Schmidt:
„Na ja, das zu erklären ist schwierig, da ich nicht ins Detail gehen kann. In der Jugendhilfe zu leben hat eben immer einen schwerwiegenden Grund. Ob es nun das Elternhaus ist, mit dem ein Zusammenleben nicht möglich ist oder ob jemand keine Eltern hier hat, wenn er oder sie das Heimatland aus Not verlassen hat, ob wegen totalitärem Regime ohne Aussicht auf ein auch nur annähernd sicheres Leben, Krieg oder politischer Verfolgung oder Volkszugehörigkeit, das haben wir in den letzten Jahren in den Medien zuhauf erfahren können. Und so ist es auch.

Wenn eben diese jungen Menschen aktiv und auf eigenen Wunsch an ihrer Entwicklung arbeiten möchten, um irgendwann ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen, dann lasse ich nichts unversucht.“

Manfred Rautenberg:
„Du erwähntest, dass die Jugendlichen aus verschiedenen Staaten aus drei Kontinente“ gekommen sind. Das dürfte entsprechende Verständigungsprobleme nach sich gezogen haben? Wie lief die Ausbildung zum Bogenschützen unter diesen Rahmenbedingungen?“

Bogenschiessen-im-SchuetzenvereinDennis Schmidt:
„Die vier Teilnehmenden sprechen vier Sprachen, wovon ich drei auch sprechen kann. Zwei konnten sich zudem in einer weiteren Sprache verständigen. Der Vierte kann ein wenig Deutsch und etwas Englisch. Insgesamt war es gar nicht so schwer, wenn auch Kommentare teils über mehrere Ecken transportiert wurden. Die Jugendlichen haben aber gelernt. Das war Teil der Übung, zueinander zu sprechen, wie es eben geht. Das klappte schon, denn oft war die Absicht auch ohne volles Sprachverständnis klar. Das ist auch pädagogisch so gewollt. Sie haben sich dabei auch Mühe gegeben, ein paar Worte in einer der anderen Sprache zu finden. Ich übersetzte dann nur bei Unklarheiten.

Fachlich konnte ich viel zeigen oder vormachen, manchmal übertrieben. Das war dann auch lustig für alle. Oder ich brachte jemanden durch Berührung in die richtige Position.

Etwas schwieriger gestaltete sich jede Reflexion und die Planung des weiteren Vorgehens für die nächste Sequenz. Da galt es, untereinander Absprachen zu treffen und weitere Schritte anzugehen. Partizipation war ja die Devise. Das funktionierte, wenn auch langsamer, besser als erwartet. Ich half dann hier und da und gab Impulse. Das heißt, von mir gab es Ideen und auch Vorschläge, die auf den Vorgesprächen und den individuellen Wünschen beruhten und auf meinen Beobachtungen. In jedem Fall wollte ich einen Wettbewerb vermeiden und Enttäuschungen während der Sequenzen abfangen.“

Manfred Rautenberg:
„Hast Du aus dem Kreis der Teilnehmer Rückmeldungen? Sie hatten sich das Bogenschießen ausgesucht und insofern dürften auch Erwartungen ein Rolle gespielt haben.“

Dennis Schmidt:
„Oh ja. Wir haben nach jeder Sequenz eine Reflexion durchgeführt und jeden Impuls habe ich benannt mit den entsprechenden Zielen. Die Teilnehmenden sollten immer wissen, was die Absicht ist und darauf hinarbeiten können oder ggf. Änderungen vollziehen, wenn sie damit nicht einverstanden waren.
Beim Anschlussgespräch gab es Pizza und eine Unterhaltung. Jeder konnte sagen, inwieweit seine Ziele oder Wünsche erfüllt wurden und was er für seine Entwicklung gelernt hat. Ebenso konnte jeder mitteilen, was er für seine Zukunft aus dem Projekt mitnimmt.

Ich darf die persönlichen Schicksale und Erkenntnisse hier nicht benennen, doch soweit: wieder Freude empfinden, sich konzentrieren und fokussieren können, zur Ruhe kommen, mit anderen in der Gruppe zusammen sein, überhaupt gefordert werden (Stichwort Corona und langweiliger Trott in 2020), Befreiung spüren, über sich hinauswachsen. Das sind nur einige recht allgemeine Punkte, aber es war so viel intensiver und ich bin stolz, wirklich stolz auf die Leistung der Jugendlichen. Sie waren immer mit aller Kraft dabei und gaben sich alle Mühe, an dieser außergewöhnlichen Erfahrung teilzuhaben. Ihnen war klar, dass wir etwas ganz Besonderes unternehmen, das extra für sie möglich gemacht wurde. Sie beteuerten mehrfach ihre Dankbarkeit, die ich allerdings zurückgab. Es war ihr eigener Verdienst, ich habe nur einen Rahmen nach ihren Wünschen geschaffen. So etwas haben sie jedoch noch nicht erlebt, also beließ ich es dabei.

Wir werden daher nach der Krise eine geplante Aktion einlegen und die Teilnehmenden können das Revival dann mit den bisherigen Erfahrungen in Erinnerung rufen und genießen.

In der Reflexion sprachen sie viel miteinander und gaben sich Tipps, wie sie diesen Weg weiterhin beschreiten können, auch ohne das Medium des Bogenschießens. Obwohl, den Sport fanden alle klasse und einige wollen das weiter verfolgen, beabsichtigen, sich in einem Verein anzumelden. Das passt zum Revival und ich hoffe, alle werden sich wieder anschließen können.“

Manfred Rautenberg:
„Ich danke Dir für das Interview und wünsche den Teilnehmern dieses ungewöhnlichen
Bogenschießens alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg!“